Mittwoch, 25. April 2018

Podcast (Folge 2): New Work! New Vereinbarkeit?

 
Wie werden wir in einer digitalisierten Welt zukünftig arbeiten? New Work heißt der Ansatz unter dem diese Frage diskutiert wird. Häufig beschworen: New Work bietet die Chance, Beruf und Privatleben leichter zu vereinbaren. Isabelle Kürschner erläutert im Podcast die Chancen der neuen Arbeitswelt für die Vereinbarkeit, die damit verbundenen Herausforderungen für Führungskräfte und die Frage, wie Unternehmen den Wandel aktiv gestalten können.

In der zweiten Folge der Podcast-Serie „HR Experten im Vereinbarkeits-Talk“ spricht Johanna Pöhland mit Isabelle Kürschner, Auditorin der berufundfamilie Service GmbH, über New Work und die Chancen für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben. Nachfolgend lesen Sie eine Zusammenfassung des Gesprächs:


Liebe Isabelle, in deinen Worten: New Work – was ist das eigentlich? 

Simple ausgedrückt: New Work meint all die Dinge, unter denen wir unseren Arbeitsalltag in Zeiten der Digitalisierung zusammenfassen. In der Diskussion um die Arbeitswelt von morgen wird sich dem Thema meist aus der der technischen Sicht angenähert. Digitalisierung und Automatisierung stehen im Zentrum; der Mensch wird nur am Rande betrachtet. Ich sehe das genau anders herum: Nicht die Maschinen, sondern die Menschen stehen im Fokus. Was wird sich also für dich und mich, unsere Freunde, Nachbarn, die Selbständigen und Angestellten zukünftig ändern? Wie werden wir arbeiten?

"New Work umfasst die Veränderungen in unserem Arbeitsalltag bei jedem Einzelnen."
Aber aufgepasst: Für viele endet New Work beim Homeoffice. Ortsflexibles Arbeiten meint auch, an anderen Standorten der Firma, im Co-Working-Space oder mobil zu arbeiten, zum Beispiel während einer Bahnfahrt oder im Café. Zusätzlich umfasst New Work das Arbeiten über Ländergrenzen und Zeitzonen hinweg.
Außerdem verändert New Work die Unternehmen: Eventuell hat nicht mehr jede Mitarbeiterin bzw. jeder Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz. Oder es werden neue Raumkonzepte etabliert, in denen Beschäftigte nach Themen oder projektbezogen zusammensitzen.


Was ist drin in New Work für Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben?

Durch den technischen Fortschritt ergeben sich Möglichkeiten der Flexibilisierung von denen einige Beschäftigte schon heute profitieren und perspektivisch noch mehr profitieren werden. Arbeitsort und Arbeitszeit variieren zu können, bedeutet für Beschäftigte mehr Selbstbestimmung. Und klar ist:
"Wenn wir selbst bestimmen können, wo und wann wir arbeiten, fällt es viel leichter Beruf, Familie und Privatleben zu vereinbaren, als wenn es uns vorgegeben wird."
Wichtig anzumerken ist, es profitieren Beschäftigte aller Lebensphasen. Nicht nur diejenigen, die ihre Kinder haben, sondern auch diejenigen die zum Beispiel einem intensiven Hobby nachgehen.


Was bedeutet New Work für familienbewusste Führung?

Führungskräfte müssen loslassen, vertrauen und ihren Mitarbeitern etwas zutrauen können! Statt auf Präsenz der Beschäftigten zu achten, rücken ihre Arbeitsergebnisse in den Vordergrund. An der Stelle zitiere ich gerne Jody Thompson, die sagt:
„Für Führungskräfte bedeutet New Work Erwachsene, wie Erwachsene zu behandeln“.
Müssen Erwachsene gesehen und überprüft werden? Ich finde nicht. Die zentrale Aufgabe für Führungskräfte ist, von Führung per Blickkontakt abzuweichen und ein Vertrauensverhältnis entwickeln.
Auch Führungskräfte sind Menschen und wollen den Beruf mit ihrem Privatleben vereinbaren. Einige Unternehmen halten ihre Führungskräfte aktiv an, auch mal im Homeoffice zu arbeiten, eher Feierabend zu machen und vor allem offen zu kommunizieren, aus welchen Gründen sie eher Schluss machen. Im Outlook-Kalender für alle sichtbar einzutragen, dass am Nachmittag die Schulaufführung der Tochter stattfindet, der Chef mit dem Sohn zu einem Arzttermin muss oder man mit der pflegebedürftige Mutter ins Krankenhaus muss, sind konkrete Beispiele wie transparente Kommunikation aussehen kann.


Wie können Arbeitgeber einen Kulturwandel einleiten?

Ich empfehle Vorbilder zu schaffen und diese zu kommunizieren. Häufig erlebe ich, dass Unternehmen bereits viele Möglichkeiten geschaffen haben, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter diese jedoch nicht kennen. Kommunikation mit Testimonials löst dieses Problem. Beispielsweise können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem Interview in der Mitarbeiterzeitung oder bei einer Podiumsdiskussion während der Betriebsversammlungen zu Wort kommen.
"Indem Führungskräfte und Beschäftigte offen kommunizieren, aus welchen Gründen sie beispielsweise regelmäßig im Homeoffice oder in Teilzeit arbeiten und offen über ihre Erfahrungen sprechen, trägt sich das Thema ins Unternehmen."
Steht ein Unternehmen noch ganz am Anfang und bisher wurde das Angebot noch nicht in Anspruch genommen, muss ganz oben angefangen werden. In solchen Fällen sollte die Unternehmensleitung die Sache in die Hand nehmen und als gutes Beispiel voran gehen. Zu kurz gedacht ist es, ausschließlich mit Betriebsvereinbarungen oder formelle Regelungen zu arbeiten. Diese kommen zwar im Kopf an. Um einen Kulturwandel einzuleiten, müssen die Beschäftigten jedoch im Bauch oder im Herzen angesprochen werden.


Wenn das jährliche Mitarbeiterbefragung zeigt, dass die Beschäftigten mit dem Status quo zufrieden sind, warum sollten sich Arbeitgeber dennoch mit New Work auseinandersetzen?

Weil die Zeit nicht stehen bleibt. Klar, jetzt ist das Unternehmen erfolgreich, jetzt steht es gut da. Aber wie sieht es in zehn bis fünfzehn Jahren aus? Können dann noch alle Stellen besetzt werden? Und wenn sie nachbesetzt werden können, mit welchen Leuten werden sie dann gefüllt? Mit den Innovativen und Einsatzbereiten oder mit denen, die den Dienst nach Vorschrift machen und bis 17.00 Uhr absitzen?


Wenn die Beschäftigten an unterschiedlichen Orten zu unterschiedlichen Zeiten arbeiten, wie kann der Zusammenhalt im Team bestehen bleiben werden?

Ich empfehle darauf zu verzichten, feste Regeln für die Abwesenheit der Beschäftigten zu formulieren. Regelungen, wie: Freitags darf ortsunabhängig gearbeitet werden oder 20% der Arbeitszeit darf von zu Hause geleistet werden, kommen häufig nicht gut an. Stattdessen sollte darauf geachtet werden, dass an festen Tagen bzw. zu festen Zeiten das gesamte Team anwesend ist. Eine Reglungen könnte lauten: Das gesamte Team versucht jeden Mittwoch Homeoffice-Tage, Dienstreisen und Kundentermine zu vermeiden. An diesem Tag sehen sich alle und verbringen ihre Mittagspause zusammen.


Arbeitnehmervertretungen warnen, die Flexibilisierung von Arbeitszeit und -ort könne zur Entgrenzung und damit zu Lasten der Beschäftigten gehen. Welche Möglichkeiten gibt es, dem entgegen zu wirken?

Durch Schulungen, Aufklärung und Bildung erhalten Beschäftigte und Führungskräfte das passende Handwerk, um auf sich selbst zu achten und sich gesund zu erhalten.
"Durch die Digitalisierung wird Achtsamkeit im Umgang miteinander in Unternehmen immer wichtiger. Maschinen können viele Arbeitsschritte für uns abnehmen, aber nicht die Emotionen ersetzen, die es für eine gute Arbeitsatmosphäre braucht."
In Zeiten der Abwesenheiten, also nach Arbeitsschluss oder währen der Urlaubszeit, den Server abzuschalten oder E-Mails zu löschen, wie es in manchen Großkonzernen der Fall ist, halte ich für contra produktiv. Gerade diejenigen, die am Nachmittag Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen und dafür abends eine Stunde arbeiten möchten, werden dadurch ausgebremst. Einen fortschrittlicheren Weg geht Microsoft: E-Mails die abends verschickt werden, werden durch die Verzögerungsfunktion in Outlook erst am nächsten Tag zugestellt. So fühlt sich niemand bedrängt, abends antworten zu müssen. Eine andere Möglichkeit ist es, in der persönlichen Signatur darüber zu informieren, wann man zu erreichen ist und der Empfänger eine Antwort erwarten kann.


Stell dir vor es ist das Jahr 2050 – Wie wird die Arbeitswelt aussehen und was bedeutet das für die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Privatleben?

Wir werden selbstbestimmter arbeiten. Voraussichtlich wird es weniger Angestellte geben, sondern mehr Selbstständige, die projektbezogen für die Unternehmen tätig sind. Und ich bin mir sicher, dass wir von den linearen Karrierewegen abweichen werden. Zukünftig wird es Mosaikkarrieren geben, in denen Beschäftigte entspannter mit ihrer Karriere umgehen werden, indem sie sich zum Beispiel eine Auszeit nehmen und zu reisen oder Angehörige in den letzten Lebensjahren intensiver zu begleiten. Beruf, Familie und Privatleben zu vereinbaren wird dadurch leichter werden.


     © Foto: privat
Dr. Isabelle Kürschner beschäftigt sich seit Jahren in Wissenschaft und Praxis mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Als Auditorin der berufundfamilie Service GmbH arbeitet sie eng mit Arbeitgebern zusammen, die sich erfolgreich für die Zukunft aufstellen und dabei Arbeitsbedingungen schaffen, unter denen Beschäftigte bereit sind, ihr Bestes zu geben. Darüber hinaus ist sie bei Unternehmen und auf Konferenzen als Vortragsrednerin gefragt zu Themen wie Führungs-und Organisationskultur, die Zukunft der Arbeitswelt, Vielfalt und Diversity sowie Work-Life-Balance. Vor ihrer Selbständigkeit war die Politikwissenschaftlerin in der Politikberatung sowie am Lehrstuhl für Strategie und Organisation der Technischen Universität München tätig.

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